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Der Deutsche Schäferhund: Alles okay?

Der Deutsche Schäferhund: Alles okay?

Quelle das Österreichische Hundemagazin Wuff®, Ausgabe November 1996.

«Der Bergabhund» von Walter Winkler und dieser später folgende Artikel aus «Wuff®», sorgten in Österreich mehr als zwei Monate lang, für hitzige Diskussionen in den Printmedien.

«Der Bergabschäferhund», «Die Wahrheit über Kommissar Rex …» oder «Vorne Hund, hinten Frosch …», so titelten Österreichs Zeitungen Ende 1996.

Wenig bis gar nichts hat sich in der Zwischenzeit geändert, obwohl der Deutsche Schäferuhund 1999 seinen 100 jährigen Bestand als eigenständige Rasse feiert. 99/01/31rw


Persönliche Erfahrungen von Dr. Helmut Raiser

Eine kritische Betrachtung der Situation des Deutschen Schäferhundes heute, verfaßt von einem Mann, der als kompetenter Kenner dieser Rasse außer Zweifel steht und darüber hinaus auch noch publizistische und filmerische Meriten vorweist. Dr. Helmut Raiser, vielen «Schäfer- und Gebrauchshundeleuten» ein Begriff, engagiertes Mitglied des deutschen Schäferhundevereines seit 1974 (!), schreibt diesen Artikel, um – wie er selbst sagt – «diesen Hund zu retten». Lesen Sie daher das Folgende bitte unter diesem Gesichtspunkt!

Als man mich bat, einen Artikel über den Deutschen Schäferhund (DSH) zu schreiben, wollte ich erst ablehnen, schließlich lebe ich seit 30 Jahren mit dem Hund und seit 25 Jahren mit dem DSH. Meine Stellungnahme kann nur äußerst kritisch ausfallen, denn dieser Hund takelt so langsam ab, und als Nestbeschmutzer möchte ich auch nicht unbedingt auftreten. Andererseits ärgere ich mich seit 7 Jahren in der Vereinspolitik herum, um diesen Hund zu retten.

Hinten Frosch, vorne Hund
Der DSH galt lange als der Gebrauchshund Nummer eins, denn die Gründer hatten sich beim Styling und beim Antriebssystem ganz gut Gedanken gemacht. Heute hinkt er im direkten Vergleich deutlich anderen Newcomern, wie dem Malinois, hinterher, auch wenn einzelne Individuen, hier und da mal wieder sich deutlich als Glanzlichter absetzen. Sein größtes Problem ist heutzutage sein Fahrgestell, hinten Frosch – vorne Hund, da haut es die Koordination ganz schön aus dem Gleichgewicht. Diensthundeführer beklagten schon vor zehn Jahren, daß man mit diesen Hunden nicht mehr lange Streife gehen kann.

Zwei DSH-Populationen
Gehalten hat sich die Mär vom besten Gebrauchshund der Welt, weil sich züchterisch zwei Populationen erhalten haben: Diejenigen, die seriös auf Schau züchten, werden sich einen Teufel tun, ihr genetisches Material durch «Leistungsknochen» zu versauen. Diejenigen, die Gebrauchshunde züchten wollen, wissen schon lange, daß auch die leistungsmäßig besten Phänotypen aus dem Schaubereich genotypische Flops sind.

Es geht um Millionen
Durch die gewollte aber unglückliche Verknüpfung, daß der Präsident jedes Jahr die Gebrauchshundklasse Rüden richtet und somit alle seine Prophezeiungen zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen werden (er verteilt dabei in wenigen Stunden Millionenbeträge in Form von Deckakten und Wertsteigerungen der Tiere), reduzieren sich die Schaulinien auf ganz wenige Elterntiere. Das Ergebnis von derartiger Verringerung des genetischen Pools ist überall in der kynologischen Fachpresse nachzulesen, das erspare ich mir hier. Von den menschlichen Versuchungen und Verfehlungen, die dem DSH als kommerzielles Objekt Schaden zuführen, will ich auch nicht berichten, wohl aber von den Problemen, die er als Gebrauchshund dadurch erfährt. Reden wir…

  1. zuerst von der Schaupopulation
  2. von der Leistungspopulation, und
  3. von einer Hypothese.

1. Reden wir also zuerst von der Schaupopulation

Die Gesundheit der Hunde der Schaupopulation kann ich nicht beurteilen, da ich mich nur peripher mit dieser Form des DSH auseinandersetze. Ich vermute aber, daß es ähnlich katastrophal wie bei der Leistungspopulation aussieht, auf die ich später zu sprechen komme. Damit meine ich, daß die Knochen- und Allergieprobleme verglichen mit der Leistungspopulation genauso zunehmen.

Anatomische und farbliche Selektion
Schlimm bei diesen Hunden ist vor allen Dingen die Leere im Kopf und der langweilige, doofe Gesichtsausdruck… Die Leistung ist im Schaubereich ein notwendiges Übel und die Selektion geht ihren anatomischen und farblichen Gang und irrte dabei auch ganz schön hin und her. Selektion heißt aber nicht nur «Hervorheben» , sondern bedeutet immer auch «unbeabsichtigtes Wegmachen», welches beim DSH dazu geführt hat, daß der Schauhund einen leeren Kopf hat. Übriggeblieben ist im Kopf, daß bei diffuser Belastung Hyperkinetik gefragt ist und so haben sie Trieb, aber kein Triebziel mehr und gebärden sich wie hibbelige Fingernägelkauer. Andere sind so sicher, daß sie sogar zum weglaufen zu doof sind.

Aber schön sind sie doch!
Da sich über Schönheit nicht streiten läßt, widerspreche ich auch nicht, wenngleich ich es als ein äußerst jämmerliches Bild empfinde, wenn ein Rüde die Rute nicht hoch erhoben trägt und immer mit so eingezogenem Hintern herumläuft, als wenn ein Backstein an seinen Hoden hinge. Auch diese Farben! Nein Danke! Pigment hat etwas Reizvolles für mich, nicht nur weil empirisches Wissen Pigmentstärke mit guten Nerven, Trieb und Vitalität assoziiert. Dieser schwarzweiße Einheitstyp ist nicht mein Schönheitsideal. Wenn schön allerdings das ist, was dem Gebrauch dient (Stephanitz), dann sind sie eindeutig häßlich. Denn dieses Gebäude ermöglicht zwar dem Hund, falls er wie ein Hochleistungssportler trainiert ist, ausdauernd auf der Schau im Kreis zu traben, aber wozu braucht das ein Gebrauchshund?!

2. Reden wir jetzt von der Leistungspopulation

Ich sehe schon, wie alle Hundesportgegner jetzt breit schmunzeln. Weit gefehlt, der Hundesport ist nach wie vor die schönste Sache der Welt. Nur muß man mit einem Formel-1-Auto keinen Acker pflügen wollen.

Seit den Siebzigern…
Meine Erfahrungen mit dem DSH begannen Anfang der 70er Jahre. Der processus anconaeus verhinderte 6 Jahre lang, daß ich einen brauchbaren Hund bekam. Mit naiven, unsinnigen und teuren Operationen zahlte ich viel Lehrgeld. Dumme Wurfwiederholungen ließen mich irgendwann schlauer werden. Die Diskussionen über dieses Thema zeigten, daß dieses Problem in Fachkreisen längst bekannt war. In Hundlerkreisen trat das Problem gehäuft auf, wurde allerdings gar nicht als solches realisiert und diese Hunde sah ich auch wiederholt auf Siegerprüfungsebene. Erst jetzt hat der SV auf Drängen von Frau Dr. Görke beschlossen, zu eruieren, ob hier Handlungsbedarf besteht. Eine Randbeobachtung, die ich heute wesentlich präziser erklären kann, war damals, daß gerade diese Hunde, die mit einem dauerhaften Schmerz oder Handicap leben mußten, entweder trieblich zusammenbrachen oder aber bei besserer genetischer Ausstattung sich als besonders starke Tiere entwickelten. Das führt häufig, weil der Ausbilder die Zusammenhänge nicht weiß, zu Falschinterpretationen, tierschutzrelevanten Zwangsmaßnahmen und irrigen Zuchtselektionen.

Ethik gefragt!
Mein erster richtiger Hund war Schauzucht. Er war einer von den Sicheren, die zu dumm zum Weglaufen sind. Schlecht war er nicht, aber sein Triebdefizit brachte ihm auch eine Bauchspeicheldrüsenfehlfunktion ein, die man natürlich erst im Nachhinein als solche realisiert. Zu der Zeit kannte ich dieses Problem nicht und erst mit der Zeit erfuhr ich, daß auch dieses Problem in Fachkreisen Alltäglichkeit und in SV-Kreisen nicht existent ist. Nachdem ich 1979 mit diesem Hund den Bundessiegertitel errungen hatte, war ich an dem Punkt, wo ich aus ethischen Gründen den Hundesport aufgeben wollte. Für mich stand fest, daß ich solch eine armselige Vergewaltigung der Kreatur Hund nie wieder durchführen werde. Den Hund nahm ich danach aus der Arbeit, er ist dann mit 11 Jahren auf natürliche Weise gestorben. Ohne die Ausbildung hätten wir nie die enge Bindung gehabt.

Verständlich nur für Eingeweihte
Zum Glück hatte ich parallel eine tolle Hündin, die mir zeigte, daß Hundesport mit geeignetem Ausgangsmaterial weder den Hund krank macht, keine tierschutzrelevanten Probleme beinhalten muß und die schönste Sache der Welt für mich ist. Das gegenseitige Geben und Nehmen auf nonverbaler, emotionaler Ebene und die dabei entstehende Bindung kann nur derjenige verstehen, der diese Bindung erlebt hat. Nichteingeweihte sollten sich hier einer Wertung enthalten! Leider hatte ich die Hündin nur kurz zur Ausbildung und konnte sie nur ein Jahr auf der Siegerprüfung führen. Mein nächster Hund war der Beste, den ich bisher hatte: 6 Jahre vorne auf der Siegerprüfung, einen Tierarzt kannte er nur vom Impfen, mit 15 Jahren eines natürlichen Todes gestorben. Allerdings tat es mir sehr leid, daß er mit 9 Jahren langsam ab Lendenbereich stetige Funktionseinbußen zeigte. Auch dieses Problem realisiere ich erst heute, dazu später. Übrigens wurden alle Geschwister früher kreuzlahm, hatten weniger geleistet und starben jünger.

Das Problem der Kreuzlahmheit existiert im SV auch nicht, da einen alten Hund (Schau = 6 Jahre, Leistung = 8 Jahre) kaum jemand präsentiert.

Kreuzlahm mit sieben Jahren
Der nächste Hund war nichts Tolles, aber gut ausgebildet konnten wir uns 5 mal zur Siegerprüfung qualifizieren und im Mittelfeld mitmischen. Immer im Sommer, wenn ich ihn brauchte, entwickelte er Ohrenzwang und zwischen den Ballen wurde alles eitrig und der Hund fiel leistungsmäßig stark ab. Diese Symptomatik kann ich noch nicht definitiv zuordnen, allerdings haben die Analdrüsen und allergologische Phänomene Relevanz. Seine Kreuzlahmheit setzte schon mit 7 Jahren ein. Bis zu letzten Rippe ist er mit seinen 10 Jahren noch heute das blühende Leben, dahinter klappert schon recht unkoordiniert die «doch so schöne» Hinterhand.

Bei 90% Problem Hinterhand!
Das Problem Hinterhand (Cauda equina und Spondylose) ist mir in den letzen drei Jahren sehr bewußt geworden. Im letzen Herbst habe ich am gleichen Tag meinen 5-jährigen Siegerprüfungsteilnehmer und meinen hervorragend veranlagten 2-jährigen Nachwuchshund einschläfern lassen müssen, weil sie beide diese Schäferhundseuche hatten. Ich kam mir vor, als stünde ich in einer Trichteröffnung und schaute heraus, und was ich sah, waren über 90% kaputte DSH im Lenden-Kreuzbeinbereich. Da habe ich mir eine Theorie entwickelt, die viele Fragen klärt. Hoffentlich ist sie nicht wahr!

3. Meine Hypothese

Vor vielen Jahren hat man gesehen, daß einige DSH hinten lahm waren. Man fing das HD-Röntgen an und glaubt noch heute, damit das Problem zu beherrschen. War es vielleicht nicht nur die Hüfte?! Sind nicht viele Hunde mit HD auffallend unproblematisch auf den Beinen?!

Was haben wir angerichtet?!
Dann hat man das Hinterteil des Hundes hin und her gezüchtet und letztlich so komisch gestylt, wie es sich heute präsentiert. Dabei hat man die Knochen verändert, sich aber nur auf die äußere Seitenansicht beschränkt. Hat einmal jemand geschaut, ob vielleicht der Wirbelkanal in seinem Durchmesser sich verändert hat und die Nerven scheuert oder quetscht (Cauda equina)? Hat mal einer geschaut, ob nicht Knochengewebe wächst, wo gar keines hingehört und die Nerven scheuert (Spondylose)? Ist es nicht so, daß beim Jugendlichen die Knochensubstanz weich und knorpeliger ist, sich das Problem also erst später einstellt, wenn der Knochen stärker verkalkt? Als ich den eingeschläferten Hund untersuchen ließ, habe ich mich erschrocken. Da war um die ganze Wirbelsäule eine neue Knochenmanschette im Lumbosacralbereich gewachsen und überall spondylotische Knochenneubildungen. Was haben wir da in der Zucht mittlerweile angerichtet! Aber scheinbar habe nur ich die Probleme im SV, denn fragt man andere Hundler nach diesem Problem, sind alle froh, daß ihre Hunde das zum Glück nicht haben…

Schmerz als ständiger Begleiter
Mein verstorbener Freund Adolf Wittmann hat mir vor 20 Jahren einmal auf die Frage, warum er eine gute Hündin wieder verkauft hatte, geantwortet: «Ich mag Dir das gar nicht sagen, weil Du mich dann auslachst, aber die Hündin hat sich ungern hingesetzt, das wird nichts!» Sicherlich hat er diese Entscheidung aus dem Bauch heraus gefällt, aber heute weiß ich mehr. Wenn der Hund bei gewissen Bewegungen von hinten immer einen kleinen Schmerz oder eine Unannehmlichkeit verspürt, dann arbeitet man immer gegen diesen Widerstand und der Hund wird nicht kooperativ. Kennen Sie diese Hunde, die sich ungern hinsetzen, ungern springen, in der Sitzübung stehen bleiben? Das ist doch nicht normal, daß wir da soviel und so oft Zwang aktualisieren müssen! Achten sie mal darauf, wieviele DSH sich freiwillig «richtig» hinstellen und bevorzugt das rechte Hinterbein etwas zurückstellen. Ist das vielleicht nicht normal, sondern eine Schonhaltung?

Fragen diskutieren
Ich höre hier jetzt auf und hoffe, daß meine Hypothese sich als unrichtig herausstellt, leider habe ich mit meinen Aussagen meistens Recht behalten, obwohl man mich schon einige Male aus dem SV werfen wollte, weil ich die Probleme häufig zu früh und zu direkt angesprochen habe. Ich kenne nicht die Gründe, die zu den Problemen des heutigen DSH geführt haben, ich kann mir nur meine Gedanken machen. Ich weiß nicht, ob diese Probleme züchterisch anzugehen sind – aber eines weiß ich sicher: Es ist die Pflicht und Schuldigkeit eines Rassehundezuchtvereines, Probleme seiner Rasse offen zu diskutieren, aufzuklären und offensiv anzugehen.

Hundesport verbieten?
Ein letzes Wort an die, die jetzt meinen, Wasser auf ihre Mühlen bekommen zu haben, daß der Hundesport verboten werden müsse. Sie haben mich nicht verstanden, lesen Sie bitte nochmals von vorne und durchdenken Sie die Gebrauchshunde-Definition. Wenn Sie dann immer noch der Meinung sind, haben Sie mich nicht verstanden.


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